Es ist ein Konzept, dass den Transport auf der Straße revolutionieren könnte: Platooning. Entwicklungen im Bereich des vernetzten und automatisierten Fahrens machen es möglich, mehrere Lkw zu einer Kolonne zu verknüpfen. Forscher aus aller Welt beschäftigen sich mit dem Thema, das wissenschaftlich und wirtschaftlich viel Potenzial aufweist. Auch bei der PTV arbeitet ein Team an einer Studie, um mittels mikroskopischer Simulation die Auswirkungen von Platooning auf den Verkehrsfluss zu analysieren.
Die Technologie funktioniert unter realen Bedingungen
Platooning ist ein Beispiel für die vernetzte Kommunikation zwischen zwei Fahrzeugen, auch als V2V Kommunikation (vom Englischen vehicle to vehicle) bezeichnet. Der Konvoi hat ein Führungsfahrzeug, das Informationen an die folgenden Lkw übermittelt. So können diese fast zeitgleich auf die Aktionen des vorderen Lastwagens reagieren. Das erste Fahrzeug gibt Tempo und Richtung vor, alle anderen folgen ihm automatisiert, lenken und bremsen im gleichen Takt. Dabei bietet Platooning viele Vorteile für Langstreckenfahrten: Die Lkw können mit konstanter Geschwindigkeit fahren und bleiben näher beieinander, was auch einen geringeren Luftwiderstand bedeutet. Das sorgt für einen geringeren Kraftstoffverbrauch und damit für eine Reduktion der CO2-Emissionen. Außerdem verbessert das Fahren im Konvoi die Sicherheit, da schnellere Reaktionszeiten das Unfallrisiko minimieren. Bei einem Zwischenfall können die nachfolgenden Lkw schnell und sicher reagieren.
Pilotprojekte haben gezeigt, dass Platooning-Technologie wenig bis gar keinen Ausbau der Infrastruktur erforderlich macht. 2018 haben beispielsweise MAN Truck & Bus und DB Schenker in einem Forschungsprojekt vernetzte Lkw im täglichen Logistikbetrieb getestet. Mehrere Monate lang fuhren zwei mit fortschrittlichen Fahrerassistenzsystemen ausgestattete Lkw auf der Autobahn zwischen München und Augsburg und legten dabei insgesamt 35.000 Kilometer zurück. Die Ergebnisse waren positiv: Der Einsatz von LKW-Platoons könne für eine effizientere Nutzung des Platzes auf Autobahnen, weniger Staus und eine höhere Verkehrssicherheit sorgen, so die Forschungspartner. Zudem wurden Einsparungen beim Treibstoffverbrauch nachgewiesen. Die Fahrer*innen lobten den Fahrkomfort und das allgemeine Sicherheitsempfinden.
Das aktuellen Forschungsprojekt ENSEMBLE, das von der Europäischen Union gefördert wird, verfolgt das Ziel, Platooning in den nächsten drei Jahren europaweit einzuführen. Ein Team aus mehreren Lkw-Herstellern (Scania, Daimler, Iveco, MAN, Volvo, DAF, Renault) sowie Forschungsinstituten und Zulieferern arbeitet daran, einen gemeinsamen Ansatz zu entwickeln. Praktische Tests auf geschlossenen Testgeländen und im realen Betrieb sollen helfen, die Auswirkungen auf Verkehr und Infrastruktur zu bewerten. So soll auch ein definiertes V2V-Kommunikationsprotokolls für alle Hersteller als Standard etabliert werden.
Simulation spielt eine wichtige Rolle
PTV-Expert*innen forschen schon seit Langem an dem Thema und beobachten ein wachsendes Interesse an Platooning, bietet es doch zahlreiche Möglichkeiten in puncto Verkehrsablauf, Sicherheit und Umwelt. Deshalb wird auch ständig an Innovationen in diesem Bereich gearbeitet.
Mit Hilfe von PTV-Software können vernetzte und automatisierte Fahrzeuge und damit die Platoons, in einer virtuellen Umgebung simuliert werden. So können die unterschiedlichsten Szenarien in jeder möglichen Umgebung oder Infrastruktur getestet und analysiert werden.
„Es gibt bereits einige Pilotstudien zum Thema Platooning in der Praxis. Wie autonome Lkw-Konvois in mit konventionellen Fahrzeugen interagieren werden, ist jedoch noch nicht ausreichend untersucht“, weiß Jochen Lohmiller, Produkt Manager für Mikrosimulation bei der PTV Group. „Da sich diese Systeme in einem frühen Entwicklungsstadium befinden und ihre Auswirkungen auf das Verkehrsgeschehen nur theoretisch sind, spielen Simulationen eine wesentliche Rolle.“
Wie sich Platooning auf den Verkehrsfluss auswirkt
In einer aktuellen Studie haben die PTV-Expert*innen untersucht, welche Wirkung Platoons aus drei 3 bis 8 Lkws auf den Verkehrsfluss haben. Dabei wurden zwei verschiedene Umgebungen in PTV Vissim modelliert. Ein einfaches Autobahnnetz mit übersättigten Verkehrsbedingungen, um Durchsatzvariationen zu erforschen. Und ein reales Netz – das Modell eines vierspurigen Straßenkorridors, der sich zwischen Eindhoven und Helmond in den Niederlanden befindet, mit mehreren angrenzenden Ausfall- und Stadtstraßen.
Eines der Ziele war es, zu demonstrieren, wie Platooning den Fahrbetrieb verbessern kann, ohne dass erweiterte Leitsysteme auf dem Straßenkorridor nötig sind.
„In unserer Untersuchung haben wir uns also nicht auf die Fahrzeugdynamik innerhalb der Kolonnen konzentriert, sondern darauf, wie sich die Platoons und ihre Konfigurationen sowie alle damit verbundenen Parameter auf den Verkehrsfluss auswirken – und das alles auf unterschiedlichen Straßen“, erklärt Jochen Lohmiller.
Die Mikrosimulationssoftware lieferte ein detailliertes und realistisches Modell des tatsächlichen Verkehrs in verschiedenen Szenarien, wodurch die Bedingungen für einen optimalen Verkehrsfluss ermittelt werden konnten. Die Analyse zeigte die Vorteile von Platooning in Bezug auf Leistung und Straßenkapazität – nicht nur für Lkw, sondern auch für Pkw.
Überall wurde in der Forschung viel Aufwand in die Entwicklung von Algorithmen gesteckt, um eine Stabilität der Platoons und damit einen sicheren und effizienten Verkehr zu erreichen. Deshalb untersuchten die PTV-Expert*innen im Rahmen der Studie auch Platoon-Parameter anderer Teams und deren möglichen Wert für die PTV-Algorithmen. Zudem konnten sie einen in PTV Vissim 2020 implementierten und im Rahmen des Forschungsprojekts CoEXist entstanden Algorithmus validieren. Das europäische Forschungsprojekt beschäftigte sich mit der Interaktion zwischen teilautomatisierten und konventionellen Fahrzeugen in der Übergangszeit zu vollautonomen Fahrzeugflotten.
Simulation in der akademischen Forschung
Bis heute haben rund 300 akademische Studien zum Thema Platooning mit PTV-Software gearbeitet – und noch sind zahlreiche Themen offen. So gilt es zum Beispiel zu untersuchen, wie die Lkw-Kolonnen gebildet und aufgelöst werden. Zur Unterstützung von Forschungsarbeit bietet PTV ein spezielles Programm für Studierende, Lehrende und Forschende an.
Dabei ist die PTV-Studie selbst eine Art technologisches Ausstellungsstück und kann Publikationen, die sich dem Thema widmen, bereichern. Sie bringt Anwender*innen – Unternehmen, Wissenschaftler*innen, Berater*innen, Städten und Universitäten die Funktionsweise der Software näher.
Noch Zukunftsmusik?
Dank Pilotstudien, Simulationen und der ständigen Verbesserung von Fahrerassistenzsystemen rückt Platooning in greifbare Nähe. Expert*innen sind optimistisch, dass die ersten Platoons aus teilautonomen Lkw in den nächsten 5 Jahren auf unseren Autobahnen zu sehen sein werden. Zuvor müssen allerdings noch wichtige Fragen, zum Beispiel in Sachen Verkehrssicherheit sowie der rechtliche Rahmen geklärt werden. So könnte zum Beispiel der vorgeschriebene Mindestabstand zwischen zwei Lkw in den Konvois von 50 auf 10 Meter reduziert werden – das muss im Gesetz angepasst werden.
Dies war auch eine der Schlussfolgerungen der PTV-Studie. Peter Sukennik, Technischer Produktmanager für PTV Vissim und einer der Autoren, sagt; „Es besteht noch viel Unsicherheit darüber, wie Platoons in Zukunft funktionieren werden, etwa was ihr Spurwechselverhalten angeht oder wie genau die Fahrzeuge dem Konvoi beitreten und ihn verlassen sollen. Viele Fragen sind da noch unbeantwortet Dürfen zum Beispiel Fahrzeuge, die mit einer vorgeschriebenen Geschwindigkeit fahren, vorübergehend schneller werden, um den Platoon zu erreichen und sich ihm anzuschließen? Müssen sie sich aktiv auf den Konvoi zubewegen? Oder warten die Platoons auf Neuzugänge? Die Kombination aus realen Tests und Simulationen in virtuellen Umgebungen wird helfen, die Antworten zu finden.”