Im Mai 2018 startete die Initiative „Transformative Urban Mobility Initiative“ (TUMI) das Netzwerk “Women Mobilize Women“, um die Rolle der Frauen im Verkehrswesen zu stärken und die Mobilität weltweit diverser zu gestalten. Leonie Guskowski und Verena Flues von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) betreuen das Netzwerk und haben mit uns über das Thema geschlechtergerechte Mobilität gesprochen.
Um gleich mal passend in das Thema einzusteigen, wie bewegt ihr beiden euch fort?
Leonie: Ich bin begeisterte Radfahrerin
Verena: Das war ich bis zu meinem Umzug nach Düsseldorf auch. Inzwischen komm ich mit dem Zug zur GIZ nach Bonn, die Strecke zum und vom Bahnhof laufe ich.
Stimmt es also, dass Frauen weniger Autofahren als Männer? Unterscheidet sich die Mobilität der Geschlechter wirklich so stark?
Verena: Natürlich lässt sich das nicht pauschalisieren. Frauen und Männer sind schließlich keine heterogene Gruppe, was Wohnsituation, Einkommen oder Motorisierungsgrad angeht. Wenn man sich Statistiken anschaut, lassen sich aber durchaus Unterschiede feststellen. Frauen nutzen häufiger öffentliche Verkehrsmittel oder gehen zu Fuß. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern haben Frauen viel seltener Zugang zu einem Auto als Männer. Aber auch in Deutschland fahren Männer laut der Studie „Mobilität in Deutschland“ fast doppelt so viel mit dem Auto wie Frauen.
Während bei Männern zudem häufig eine sehr lineare Mobilität beobachtet werden kann, also morgens den Weg zur Arbeit und abends zurück nach Hause, sieht man bei Frauen oft das so genannte Trip Chaining – das Aneinanderreihen von mehreren kürzeren Wegen. Das ergibt sich daraus, dass Frauen meist den größeren Anteil an Sorgearbeit übernehmen: Kinder in die Schule bringen und wieder abholen, zur Arbeit, zum Einkaufen gehen usw.
Leonie: Städte wurden in der Vergangenheit sehr autozentriert geplant mit dem männertypischen Bewegungsmuster im Hinterkopf. Das Trip Chaining wurde dagegen in den Daten, die als Grundlage für die Stadt- und Verkehrsplanung dienen, nicht berücksichtig. Da gibt es eine regelrechte Datenlücke. Dabei ist es so wichtig, dass die Bewegungsmuster und Bedürfnisse der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in die Planung mit einbezogen werden. Nur so wird Mobilität geschlechtergerecht, divers und zugänglich.
Wie sehen die Bedürfnisse von Frauen an die Mobilität aus?
Verena: Ganz wichtig ist der Aspekt Sicherheit und Schutz vor Übergriffen. Viele Frauen haben schlechte Erfahrungen gemacht oder fürchten sich vor physischer und verbaler Gewalt oder sexueller Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln und auch dem Weg dorthin. Zahlreiche Städte haben das Problem in den letzten Jahren erkannt und versuchen, es durch spezielle Kampagnen zu adressieren. Dazu gehört zum Beispiel das bessere Ausleuchten von Haltestellen oder der Einsatz von Technologien wie Videoüberwachung oder Apps zum Melden von Problemen, aber auch die Schulung des Personals, wie mit solchen Übergriffen umzugehen ist. Ein unsicheres Umfeld betrifft nicht nur die Frau individuell, sondern langfristig das ganze Verkehrssystem, weil Frauen als Fahrgastgruppe wegfallen.
Es geht also nicht nur darum, die Übergriffe selbst einzudämmen, sondern auch die Angst davor?
Verena: Richtig. Eine Studie aus Lateinamerika hat zum Beispiel gezeigt, dass solche Ängste von einer Generation in die nächste weitergeben werden.
Leonie: In Bogotá, Kolumbien, gab es eine Pilotmaßnahme der TUMI mit dem Ziel die Sicherheit selbst und die Wahrnehmung der Sicherheit an öffentlichen Orten und in öffentlichen Verkehrsmitteln zu verbessern. Mit Hilfe einer App konnten die Menschen angeben, wo sie sich unsicher fühlen. Mit den Daten wurden dann Brennpunkte ausgemacht und dort gezielt Maßnahmen umgesetzt, um das Sicherheitsgefühl zu verbessern.
Verena: Manchmal waren nur kleine Mittel nötig, um Ecken wiederzubeleben und sicherer zu machen, ein neuer Anstrich etwa oder Bepflanzung. Es ist beeindruckend, wenn man da Vorher/ Nachher-Bilder sieht.
Abgesehen von Sicherheit, auf welche Bedürfnisse muss noch eingegangen werden?
Leonie: Auf jeden Fall die Barrierefreiheit. Frauen, die mit Kinderwagen oder viel Gepäck unterwegs sind, müssen die Verkehrsmittel unkompliziert nutzen können.
Ein wichtiger Punkt, der oft in Vergessenheit gerät, ist zudem die Tarifintegration. Besonders in Entwicklungsländern haben Frauen meist weniger Einkommen als Männer. Da sie verschiedene Verkehrsmittel nutzen und die Fahrten einzeln bezahlen müssen, geben sie häufig mehr Geld für Mobilität aus als Männer. Es hilft den Frauen also sehr, wenn sie mit einer Fahrkarte mehrere Busse oder unterschiedliche Verkehrsmittel nutzen können.
Die Initiative Women Mobilize Women setzt sich aber nicht nur dafür ein, dass die Bedürfnisse von Frauen berücksichtigt werden, sondern auch dafür, Frauen in der Mobilitätsbranche zu stärken …
Verena: Der Transportsektor wird heute noch zum großen Teil von Männern dominiert. Damit fehlt ein Teil an Erfahrung. Wenn ich nie selbst erfahren habe, wie unangenehm es ist an einer dunklen Haltestelle zu stehen, oder mit dem Kinderwagen in der Rushhour von A nach B zu kommen, fällt es mir wahrscheinlich schwer mich in diese Perspektive hineinzudenken und die Situation zu verbessern.
Vor zwei Jahren startete die TUMI aus diesem Grund eine Konferenz, um die Rolle der Frau in der Branche zu stärken. Ziel war es zum einen, Frauen zu vernetzen und ihnen eine stärkere Stimme im Sektor zu geben. Zum anderen wollten wir uns gemeinsam der Frage widmen, wie die Situation von Verkehrsteilnehmerinnen verbessert werden kann, in der Stadtplanung und in der Durchführung von Projekten.
Leonie: Inzwischen ist daraus zu einem Netzwerk von Frauen aus der ganzen Welt geworden, die den Mobilitätssektor aktiv verändern und vielfältiger gestalten wollen. Es haben sich regionale Netzwerke in Lateinamerika und Ostafrika gegründet und es hat zahlreiche Konferenzen und Webinare zum Thema gegeben.
Wir bekommen immer mehr Anfragen, das Interesse an dem Thema und damit auch das Bewusstsein steigt. Am Herzen liegt uns da auch unsere Publikation „Remarkable Women in Transport“, in der wir jedes Jahr Frauen vorstellen, die im Transportsektor tätig sind.
Verena: Es ist toll zu sehen, was in dem Bereich aktuell so alles entsteht. Spannend finde ich zum Beispiel das Thema Radverkehr, das ja generell enorm an Bedeutung gewonnen hat, unter anderem durch die Corona-Pandemie, aber gerade auch bei Frauen. In Lateinamerika gibt es viele Fahrradkollektive von Frauen, in denen sich Frauen gegenseitig unterstützen und zum Beispiel das Fahrradfahren beibringen.
Leonie: In vielen traditionelleren Gesellschaften wird Radfahren Mädchen nicht so selbstverständlich beigebracht wie Jungen. Wenn man es dann erst als Erwachsene in einer Großstadt lernt, ist die Hürde, zu radeln, sehr hoch. Deshalb ist es wichtig, dass es andere Frauen gibt, die das Problem kennen und sich gegenseitig stärken. Der Aufschwung des Fahrradfahrens bei Frauen ist ja eine richtige Empowerment-Bewegung. Ein klares Zeichen, um zu sagen, wir entscheiden selbst, wir bringen uns das selbst bei!